Diskriminierung von Minderheiten und rechtes Gedankengut in den Sicherheitsorganen

Bericht von der Fachtagung am 7. Mai 2024 in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz mit Vertreter*innen von Polizei, Bundeswehr und der historisch-politischen Bildung

Der Schutz einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft zählt zu den zentralen Aufgaben von Polizei und Bundeswehr. Doch antidemokratisches Gedankengut ist in allen Teilen der Gesellschaft zu finden – auch in den Sicherheitsorganen. Rechte Strukturen und Netzwerke innerhalb dieser Institutionen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder aufgedeckt und öffentlich gemacht. Hierbei zeigte sich, dass in diesen Gruppen an ein Rollenverständnis angeknüpft wird, das seine Wurzeln in den autoritären Traditionen des Kaiserreichs und des Nationalsozialismus hat. Diskriminierung von Minderheiten in Armee und Polizei dient(e) dazu, demokratische Strukturen zu destabilisieren und durch autoritäre zu ersetzen.

Diskriminierung durch Sicherheitsorgane zielt einerseits direkt auf Betroffene, andererseits aber auch auf eine auf Gleichheit und Freiheit aufgebaute Gesellschaft: Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Antiziganismus sind ein direkter Angriff auf das Fundament der Demokratie. Ein kritischer Umgang mit der Vergangenheit ist daher für Mitarbeiter*innen von Polizei, Bundeswehr und Nachrichtendiensten unverzichtbar, um sich für solche Herausforderungen in der Gegenwart zu wappnen.

Wir haben am 7. Mai 2024 rund 65 Angehörige von Polizei und Bundeswehr sowie Multiplikator*innen der historisch-politischen Bildung eingeladen, mit uns über historische und gegenwärtige Problemstellungen zu diskutieren. 

Warum ausgerechnet die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (GHWK) zu einer solchen Tagung einlade, fragte Dr. Matthias Haß, stellvertretender Direktor der GHWK, in seinem Grußwort. Am 20. Januar 1942 hatten sich an diesem Ort fünfzehn hochrangige Vertreter der SS, der NSDAP und verschiedener Reichsministerien getroffen, um die Kooperation ihrer Behörden bei der geplanten Deportation und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden zu besprechen. Die Arbeit der GHWK bestünde daher seit ihrer Gründung 1992 darin, vor allem mit verschiedenen Berufsgruppen über die Beteiligung der Verwaltung am Holocaust zu sprechen und die eigenen heutigen Berufspraxen sowie die eigene Rolle zu reflektieren. 

Die Tagung war Teil des seit September 2022 von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) geförderten Projekts „Staatsbürger*in in Uniform. Historische Verantwortung, Orientierung und Handlungskompetenz“. Johanna Sokoließ, Fachreferentin der EVZ, übernahm die Projektvorstellung: In Kooperation mit Angehörigen der Bundeswehr sollen Module zur Reflexion über die Geschichte und Gegenwart unterschiedlicher Formen von Diskriminierung entwickelt werden. Ziel des Projekts sei es, das Bewusstsein über die Bedeutung des eigenen Handelns als Teil einer wehrhaften Demokratie zu stärken, Interventionsmöglichkeiten zu erproben sowie Präventionsmechanismen zu entwickeln. 

Dr. des. Verena Bunkus, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der GHWK und zugleich Projektleiterin, betonte in ihrer Einführung zur Tagung, dass in allen Projektphasen insbesondere die Perspektiven von (potenziell) von Diskriminierung betroffenen Angehörigen der Bundeswehr berücksichtigt würden. Im Zuge des Projektes sei es gelungen, mit verschiedenen Institutionen der Bundeswehr zusammenzuarbeiten und sich mit Interessensgruppen vertrauensvoll auszutauschen. Dass Vertreter*innen nun auch am Programm mitwirkten, sei sehr wichtig und eine große Bereicherung. Ihr Kollege Dr. Jakob Müller ergänzte, dass die GHWK auch mit Projektpartner*innen der Polizei zum Thema „Polizei in der Diktatur, Polizei in der Demokratie“ zusammenarbeite, von denen viele anwesend seien. Zudem sei es wichtig, an die Zäsur zu erinnern, die der Nationalsozialismus für das Vertrauen in staatliche Behörden bedeute. Polizist*innen, deren Aufgabe die Verbrechensbekämpfung ist, wurden im staatlichen Auftrag zu Mörder*innen und Verbrecher*innen. Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen beteiligten sich an der Ermordung von Patienten. Deutsche Soldaten trugen einen Vernichtungskrieg ins östliche Europa, der jegliche Grenze des Kriegsvölkerrechts verletzte. 

Anschließend ging es im ersten Panel um die Frage, wie in der historisch-politischen Bildungsarbeit Betroffenenperspektiven und deren Handlungsoptionen thematisiert werden können. Wie setzten sich Jüdinnen und Juden, Sinti*zze und Rom*nja in Armee und Polizei zur Wehr, wenn sie mit antidemokratischer und nationalsozialistischer Unterdrückung konfrontiert waren?

Dr. Jens Dobler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Magnus Hirschfeld Gesellschaft, beantwortete diese Frage beispielhaft anhand der Biografie von Martha Mosse. Mosse, die aus einer einflussreichen jüdischen Verlegerfamilie stammte, arbeitete ab 1922 im Berliner Polizeipräsidium und wurde 1926 als erste Frau in Preußen zum “Polizeirat” befördert. Seit 1919 wohnte sie mit der Bibliothekarin Erna Stock, ihrer Lebenspartnerin, zusammen. 1933 wurde Mosse aufgrund des “Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” ohne Bezüge entlassen. Seit 1934 arbeitete sie für die Wohnungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde. In dieser Funktion war sie ab 1941 gezwungen, an der Deportation jüdischer Berliner*innen mitzuwirken; eine Tätigkeit, für die sie nach dem Krieg kritisiert wurde. Nach dem Krieg arbeitete Mosse wieder bei der Polizei und war bis zu ihrem Tod 1977 in der Frauenbewegung aktiv. Dobler betonte, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Martha Mosse sei, etwa im Rahmen von Bildungsarbeit mit Angehörigen der Polizei. Anhand ihrer Biografie könnten Handlungsweisen und Verhaltensweisen von Polizist*innen diskutiert werden.

Daniel Tonn, Referent am Bildungsforum gegen Antiziganismus, stellte die Biografie von Walter Winter vor. Der deutsche Sinto, Sohn einer Schaustellerfamilie, wurde 1938 in den Reichsarbeitsdienst und 1940 in die Marine eingezogen. Zwei Jahre später aus rassistischen Gründen vom Dienst entlassen, musste er zunächst Zwangsarbeit verrichten und wurde 1943 nach Auschwitz deportiert. Hier war er am Widerstand im Lagerabschnitt BIIe – bekannt als “Zigeunerlager” – beteiligt. Schließlich wurde er nach schwerer Zwangsarbeit in Ravensbrück und Sachsenhausen kurz vor Kriegsende als Soldat in die berüchtigte “Sondereinheit Dirlewanger” eingezogen. Die “zweite Verfolgung” erlebte er nach 1945, als er um die Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit kämpfen musste. Tonn zeigte Handlungsmöglichkeiten und Strategien Winters anhand von dessen Lebensbericht auf, und wie mit Textpassagen in der Bildungsarbeit umzugehen sei. 

Das zweite Panel war gegenwartsbezogen angelegt. Moderator Jakob Müller stellte eingangs fest, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus eine tiefsitzende Skepsis und ein Misstrauen gegen staatliche Institutionen insbesondere bei Minderheiten verursacht hätten, die von Verfolgung betroffen waren. Auf welche Weise manifestierten sich in den Sicherheitsorganen menschenverachtende Haltungen und Handlungen und was bedeuten die Befunde der Referent*innen für die konkrete Arbeit innerhalb der Sicherheitsbehörden? 

Zunächst referierte Caroline Walter, Journalistin und Buchautorin, über AfD-Politiker in der Bundeswehr. Darunter seien Personen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und denen seitens der Bundeswehr das Tragen ihrer Uniformen bereits untersagt worden ist. Für besorgniserregend halte sie insbesondere, dass rechtes Gedankengut durchaus auch auf der Führungsebene eine Rolle spiele und etwa ein General a.D. für die AfD auftrete. Mittlerweile sei eine Sicherheitsüberprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst für Angehörige der Bundeswehr, die an der Waffe ausgebildet werden, vorgeschrieben. Diese Kontrollen würden aber zu lange dauern und daher wenig effektiv sein.

Im Anschluss stellte Dr. Markus End, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, seine Arbeit zu antiziganistischen Ermittlungsansätzen in den Sicherheitsbehörden vor. Er zeigte, dass seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine diskriminierende Polizeipraxis darin bestand, Sinti*zze und Rom*nja gesondert zu erfassen. Diese Praxis habe teilweise bis in die heutige Zeit Bestand, nur dass Polizist*innen jetzt auf eine Art “Umwegkommunikation” setzten, die Sinti*zze und Rom*nja nicht direkt benenne. Hierzu gehören Umschreibungen wie “mobile ethnische Minderheit (MEM)”, aber auch die gesonderte Erfassung bestimmter Straftaten. In einigen Kriminalitätsstatistiken wurde etwa die Kategorie “Tageswohnungseinbruch (TWE)” verwendet, um Einbrüche, die Sinti*zze und Rom*nja zugeordnet wurden – unabhängig der Tageszeit – zu erfassen. In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass anwesenden Angehörigen der Polizei Ends Befunde bekannt waren und diese Praxis in einigen Bundesländern bereits problematisiert werde.

© GHWK
Auf dem Abendpanel diskutieren Winfrid Wenzel, Rainer L. Hoffmann, Deborah Hartmann, Tim Juraske, Martin Rose und Anastasia Biefang (v.l.n.r.)über Herausforderungen und Chancen von Sensibilisierung gegen Diskriminierung in Polizei und Bundeswehr.

Deborah Hartmann, Direktorin der GHWK, moderierte schließlich das Abendpanel, auf dem Vertreter*innen von Polizei, Bundeswehr und Interessensgruppen über deren Arbeit zur Sensibilisierung gegen Diskriminierung diskutierten. Rainer L. Hoffmann, Vorstandsmitglied des Bundes jüdischer Soldaten, erzählte von seinem Entschluss, in die Bundeswehr einzutreten: Als Kind von Shoah-Überlebenden und West-Berliner hätte er dies keinesfalls gemusst, entschied sich aber aufgrund des Mauerbaus und der Bedrohung durch die Sowjetunion dazu. Er war einer der ersten jüdischen Soldaten der Bundeswehr und gehörte nach Gründung des Bundes jüdischer Soldaten zu den ersten Mitgliedern. Als Interessensvertretung für jüdische Angehörige der Bundeswehr sorge der Bund für deren Sichtbarkeit. Ebenfalls seit Langem engagiert sich Anastasia Biefang für die Interessen queerer Angehöriger, heute als Vize-Vorsitzende der Interessenvertretung QueerBw, die aus dem 2002 gegründeten Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr hervorgegangen ist. Sie machte auf den langen Kampf um Anerkennung queerer Soldat*innen aufmerksam, der auch heute fortdauere und in der sie sich engagiere. Tim Juraske von der Gewerkschaft der Polizei berichtete über die Gründung der AG Vielfalt, die erst wenige Wochen zuvor stattfand: Wunsch der GdW sei es, dass die Polizei die vielfältige Gesellschaft abbilde. In dieser Hinsicht bestünde einiges Entwicklungspotential, das die AG nun begleiten und ermöglichen möchte. Martin Rose, Leiter des Dezernats VIER (Vielfalt, Interkulturalität, Ethik und Religion) im Zentrum Innere Führung der Bundeswehr, führte aus, dass es das Anliegen des Dezernats sei, Bedürfnisse aus verschiedenen Vielfaltsdimensionen ernst zu nehmen. Auch er berichtete, dass es innerhalb der Bundeswehr noch viel zu tun gäbe: So engagiere er sich momentan für den Einsatz von Imamen, da es im Gegensatz zu christlichen und jüdischen noch immer keine muslimischen Militärgeistlichen in der Bundeswehr gibt. Schließlich berichtete Winfrid Wenzel von seiner Arbeit als Antisemitismusbeauftragter der Polizei Berlin. In dieser Funktion ist er sowohl Ansprechpartner für die vielfältigen jüdischen Communities Berlins als auch Fachperson innerhalb der Behörde. Er berichtete von Lernprozessen innerhalb der Behörde, im Kampf gegen Antisemitismus zu agieren und darüber zu kommunizieren.

Die Veranstaltung war bereits lange vor Beginn ausgebucht, was für einen hohen Bedarf an Austauschräumen wie dieser Fachtagung spricht. Sie war geprägt von einer offenen, kontroversen, wertschätzenden Atmosphäre zwischen den verschiedenen Akteur*innen, was sich an den vielfältigen Wortbeiträgen zeigte. Gerade dieser Austausch, auch zwischen Bundeswehr und Polizei, so betonten Teilnehmende während und nach der Veranstaltung, seien wichtig, um über Themen wie Diskriminierung und den Umgang mit rechtem Gedankengut zu sprechen.

Autorin und Ansprechpartnerin

Dr. des. Verena Bunkus

Abteilung Bildung und Forschung / wissenschaftliche Mitarbeiterin

(030) 2179986-24

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